Zweite Chance nach Corona: So rettet Deutschland die Innenstädte
Letztes Update: 18.05.2022
In den Innenstädten Deutschlands zeigte sich 2020 ein trauriges Bild: leergefegte Straßen, geschlossene Läden und keine Menschenseele weit und breit. Die Orte, die einst die Zentren des sozialen und kulturellen Geschehens waren, hatten sich plötzlich in leere Geisterstädte verwandelt. Auch wenn sich nun die Fußgängerzonen und Stadtzentren langsam wieder mit Leben füllen, sind sie nicht das, was sie einmal waren. Leere Gewerberäume, Kettenläden ohne Ende und Ein-Euro-Shops zieren die Fußgängerzonen und Shopping-Meilen. Die deutschen Innenstädte verlieren auch nach Corona immer mehr an Attraktivität und Charme.
Die Corona-Pandemie war nicht der Auslöser dafür, dass die Innenstädte deutscher Kommunen immer mehr zur Einöde werden. Von der „Krise der Innenstädte“ wird bereits seit den 2000er Jahren berichtet. Vielmehr waren die Coronapandemie und der Lockdown wie der Blick in eine mögliche Zukunft. Wir konnten sehen, wie die Innenstädte künftig aussehen könnten, wenn nicht endlich etwas unternommen wird: Leer, verlassen und unwichtig.
Die Stadtzentren bekommen jetzt eine zweite Chance: Der Bund hat den Kommunen ein Förderpaket im Umfang von 250 Millionen Euro bereitgestellt, mit dem die Innenstädte neu gestaltet und wiederbelebt werden sollen. In diesem Artikel erfahren Sie, vor welchen Herausforderungen die Innenstadtplanung steht und wie unsere Innenstädte gerettet werden sollen.
Ohne Charme und Mehrwert: Innenstädte verlieren an Attraktivität
Die Innenstädte Deutschlands stehen seit Jahren unter Druck: Kettenläden, Wettgeschäfte und Ein-Euro-Shops ersetzen die individuellen Einzelhändler, Systemgastronomie verdrängt die traditionsreiche Küche und der katastrophale Verkehrszustand belastet die oft schmalen Straßen im Stadtkern immer mehr. Nicht erst seit der Corona-Pandemie sind die Innenstädte wenig verlockend und werden lieber gemieden als besucht.
Die Corona-Pandemie verschärfte die Lage jedoch deutlich. Vielen Einzelhändlern brach im Lockdown das Einkommen weg. In der Innenstadt blieben die Gewerbemieten aber nach wie vor hoch. Die Folgen sehen wir auch heute noch: massive Leerstandsquoten und ein geringes Angebot im stationären Handel in der Innenstadt. Für den Konsumenten ist dies weniger ein Problem als für den Händler, denn der Konsument hat seine Shopping-Aktivitäten mittlerweile ins Internet verlagert. Keine langen Wartezeiten, ein unbegrenztes Angebot und keine lästigen Öffnungszeiten, an die er sich halten muss.
Der Zuwachs an Online-Shoppern ist für den Einzelhandel fatal und somit auch für die Innenstadt ein großes Problem, denn beide gehen Hand in Hand: Haben Einzelhändler kein Einkommen mehr, müssen die Läden schließen und die Innenstadt verliert an Mehrwert. Wird Letztere weniger besucht, bricht auch Gastronomen und anderen Anbietern das Einkommen weg. Je weniger es für den Besucher in der Innenstadt zu tun gibt, desto weniger wird sie besucht. Dies wirkt sich wiederum negativ auf das Einkommen der verbliebenen Einzelhändler aus. Es bildet sich ein Teufelskreis.
Während der Corona-Pandemie ist eines klar geworden: Die Innenstadt ist nicht nur ein Ort des Einkaufs– sie muss dem Besucher ein Gesamterlebnis bieten. Viele Städte haben deshalb neue Ideen und Konzepte entwickelt, um die Attraktivität der Stadtzentren zu verbessern und die Besucher wieder in die Stadtmitte zu locken.
Zurück in die Zukunft: Multifunktional und lebendig
Seit dem Mittelalter spielen Stadtzentren eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Zusammenleben. Die Stadtmitte war der Ort, an dem Veranstaltungen stattfanden und wo Handel getrieben wurde. Über die Zeit geriet der soziale Aspekt der Innenstadt aber immer mehr in den Hintergrund. Das Stadtzentrum etablierte sich stattdessen primär als Handelsstandort, wurde zur Top-Lage für Einzelhändler aller Art. Wer etwas einkaufen wollte, wusste, wo er es finden konnte.
Seit den 1960er Jahren wird jedem Stadtviertel bei der Stadtplanung eine Funktion zugewiesen. Die „Baunutzungsverordnung“ schreibt vor, dass Baugebiete und Quartiere einer Stadt einen bestimmten “Nutzen” haben müssen. In Wohnvierteln wird gewohnt, in Gewerbevierteln gearbeitet und in der Innenstadt eingekauft. Doch die Zeiten haben sich seit den 60er Jahren geändert. Wir Menschen sind zwar mobiler geworden, aber auch bequemer. Wir wollen nicht mehr bis in die Innenstadt fahren, um ein neues Kleid oder ein Paar Schuhe zu kaufen, sondern wollen es direkt vor unserer Haustür tun. Die Menschen haben sich verändert, die Städte nicht – es wird nach wie vor nach Funktion gebaut. Und dies wird zu einem Problem für die Innenstädte.
Heutzutage ist die Innenstadt nicht mehr nur ein Ort des Einkaufs. Anders als früher, dient der Handel in der westlichen Welt nicht mehr primär der Versorgung, sondern ist zur Freizeitaktivität geworden. Was die Besucher dennoch dazu motiviert, in die Stadt zu gehen , anstatt am Laptop zu shoppen, sind die Atmosphäre, die Kontakte und die Unterhaltung. Doch genau das bieten unsere Innenstädte den Menschen nicht. Sie haben es versäumt, sich zukunftsfähig zu machen und sind langweilig. Es gibt nichts, was den Konsumenten anzieht.
Für deutsche Städte gilt es nun, in der Innenstadt eine Atmosphäre zu schaffen, die der Konsument beim Online-Shopping nicht bekommt: mit Kontakten zu anderen, Grünflächen, Kulturangeboten, Sport, nachhaltigen und regionalen Waren, Werkstätten für Handwerksarbeiten und Co-Working-Spaces, alle an einem Ort und leicht erreichbar. Das Bedürfnis, etwas zu erleben, ist die Motivation der Menschen, die Innenstadt zu besuchen. Diese Motivation muss bei der zukünftigen Innenstadtplanung im Vordergrund stehen.
Das Ende der Warenhäuser
Dass die Zeiten der Funktionstrennung vorbei sind, zeigt auch das Schicksal zahlreicher Kaufhäuser, die während der Pandemie ihre Türen für immer schließen mussten. Als Handelszentren wurden Kaufhäuser in der Nachkriegszeit zu einem zentralen städtebaulichen Bestandteil der Innenstadt. Doch seitdem der Handel nicht mehr Anziehungspunkt für Besucher der Innenstadt ist, haben auch Kaufhäuser letztlich ausgedient. Dies zeigt der massive Leerstand in zahlreichen Kaufhäusern Deutschlands deutlich. Auch Investoren machen einen großen Bogen um Kaufhäuser und Handelsgebäude, da sich die früheren Quadratmeterpreise einfach nicht mehr realisieren lassen.
Doch aller Ende ist auch ein Anfang: Die leeren Warenhäuser sollen einen neuen Nutzen bekommen und die Innenstädte aufwerten. Leipzig macht es vor: Das ehemalige Gebäude von Karstadt in der Leipziger Fußgängerzone soll nun zu einem multifunktionalen Treffpunkt werden. Arbeit, Wohnen und Einkaufen sind nicht mehr getrennt, sondern werden vereint. Statt des ganzen Gebäudes soll der Einzelhandel lediglich die unteren Geschosse einnehmen. In den Obergeschossen sollen Co-Living Räume geschaffen werden, in denen Büros und Micro-Apartments ihren Platz finden.
Digitalisierung – Feind oder Freund?
Die Prosperität von Innenstädten basiert auf dem Einzelhandel. Doch seit der Corona-Pandemie hat der Konsument seine Einkaufsaktivitäten zu großen Teilen ins Internet verlagert: Wieso in die Stadt gehen, wenn man sich die neuen Klamotten auch einfach mit einem einzigen Mausklick vom Sofa aus kaufen kann? Während der Kunde im stationären Handel mit begrenztem Angebot und unpassenden Größen zu kämpfen hat, steht ihm im Internet ein schier unbegrenztes Angebot zur Verfügung.
Die zunehmende Digitalisierung von Einkauf und Handel ist nicht mehr aufzuhalten. Deswegen müssen die Städte sie sich zunutze machen: Die Stadt Hamburg hat ein vielversprechendes Pilotprojekt gestartet, um den Kunden vom Laptop weg in die Innenstadt zu locken. Mithilfe einer App kann der Kunde die Verfügbarkeiten von Größen und Farben sowie das Angebot an Artikeln in lokalen Shops bereits vor dem Einkauf überprüfen. Somit muss er lediglich die Filiale besuchen, um die Gegenstände einzukaufen. Die App soll den Einkauf planbarer gestalten und den Konsumenten dazu motivieren, die Innenstadt zu besuchen.
Doch was ist zu tun, wenn dem Kunden das Angebot einfach nicht mehr gefällt? Die Auswahl im stationären Handel ist begrenzt, kaum ein Laden hat ein individuelles Sortiment. Um die Innenstädte wieder attraktiv zu machen, muss also frischer Wind in den Handel gebracht werden. Die Städte Viersen und Kiel haben nun einen Wettbewerb initiiert, der genau dies bewirken soll. Aufstrebende Gründerinnen und Gründer können sich mit ausgefallen Handelskonzepten bewerben. Der Gewinner mit der besten Geschäftsidee bekommt anschließend Unterstützung bei der Umsetzung seiner Idee durch Coaching und Fördergeld, sowie eine vergünstigte Geschäftsmiete in den Top-Einkaufslagen. Ebenfalls soll der regionale Handel in Zukunft vermehrt in die Innenstädte zurückgebracht werden. Nachhaltige und regionale Waren sind insbesondere bei jüngeren Konsumenten stark gefragt.
Innenstadt als Ort der Erholung
Bis heute ist in der Stadtplanung unsicher, wie mit dem Verkehr in der Innenstadt umgegangen werden soll. Die Bewegungs- und Transportmöglichkeiten sind nach wie vor ein zentrales Entwicklungsgebiet. Die Besucher wollen die Einkaufsmeilen schnell und einfach erreichen, doch gleichzeitig soll die Innenstadt ein Ort der Entspannung sein. Mit Lärm und Abgasen lässt sich das aber nur schwer vereinen. Aus diesem Grund hat Hamburg die Straße Jungfernstieg in der Innenstadt für sämtliche PKWS gesperrt. Ausschließlich Busse, Taxis, Liefer- und Entsorgungsverkehr sollen Zugang zur Innenstadt haben. Auch in Bremen soll nun die Martinistraße von einer vier- in eine zweispurige Straße zurückgebaut werden.
Werden die Innenstädte ein Comeback erleben?
Für die Innenstädte Deutschlands sah es lange Zeit schlecht aus. Auch wenn die Ära der Innenstadt als Einkaufsstandort endgültig vorbei ist, heißt das nicht, dass sie nicht wieder an Bedeutung für die Stadt, die Gesellschaft und den Tourismus gewinnen kann. Bereits jetzt haben zahlreiche Städte mit vielversprechenden Konzepten gezeigt, dass sie jegliche Hindernisse mit kreativen und neuen Ideen überwinden können, vom PKW-Verbot in der Innenstadt bis hin zu Co-Living-Spaces als multifunktionale Treffpunkte. Architekten, Stadtplaner und Stadtverwalter arbeiten nach wie vor an neuen Ideen, wie die Innenstädte Deutschlands wieder zu den Orten gemacht werden können, die sie einmal waren: lebendige Treffpunkte, an denen das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben der Stadt zusammenkommt.